Normfall Examenstrainer, 10.05.1996

Strafrecht

Minna-Fall




Normalfallösung Ebene 5



I. E, A

1. 212 I; 22; 23 I; 25 II

a) Tb

Zwei Vorprüfungen

- Erfolg ausgeblieben (+)

- Versuch strafbar (+)

aa) subj Tb

Da keine echte (d.h. arbeitsteilige) Mittäterschaft, bräuchte an sich nicht mit dem subjektiven Tatbestand begonnen zu werden - wohl aber wegen des Versuchs)

bb) obj Tb

- Gemeinsamer Tatentschluß (+)

- Unmittelbares Ansetzen durch die Schüsse (+)

b) Rw (+)

c) Schuld

-P: Entschuldigungsgrund (nach a.M. persönlicher Strafaufhebungsgrund - Aufbau) Rücktritt, 24

Vor Einstieg in 24 ist zu prüfen, ob ein subjektiv fehlgeschlagener Versuch vorliegt, bei dem von vornherein ein Rücktritt ausscheidet. Dies ist für den Fall umstritten, in dem der Täter erkennt, daß er den Angriff wiederholen oder anderweitig fortsetzen könnte. Richtigerweise ist diese Frage mit der (gleich zu besprechenden) Gesamtbetrachtungstheorie zu verneinen.

Sodann ist zu überlegen, ob 24 I oder II einschlägig ist. An sich liegt bei der Mittäterschaft Beteiligung i.S.d. 24 II vor. Doch handelt es sich vorliegend nicht um echte (d.h. arbeitsteilige) Mittäterschaft. Genau besehen sind E und A Nebentäter, da jeder den objektiven Tatbestand in eigener Person verwirklicht. Also ist 24 I anzuwenden.

Hier ist nun gemäß 24 I 1 zwischen dem nicht beendeten und dem beendeten Versuch abzugrenzen. Die Weichenstellung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch ist wegen der unterschiedlichen Anforderungen an das Verhalten des Täters wichtig. Um auf die richtige Schiene zu kommen, ist zu fragen: Hat der Täter alles getan, was nach seiner Vorstellung den Erfolg herbeiführen sollte? Die Antwort richtet sich ausschließlich nach der subjektiven Vorstellung des Täters. Bejahendenfalls ist der Versuch beendet. Glaubt der Täter dagegen, daß es zur Verwirklichung des Tatbestandes noch weiterer Handlungen bedürfe, ist der Versuch unbeendet.

In den Fällen, in denen der Täter erkennt, daß er den Angriff wiederholen oder anderweitig fortsetzen könnte, stellt die Einzelbetrachtungstheorie auf die Einschätzung des jeweiligen Aktes nach dessen Abschluß ab. Hält der Täter den Einzelakt für noch ergänzungsbedürftig ("Summierungserfordernis"), ist der Versuch noch nicht beendet. Hält er den Einzelakt dagegen für erfolgstauglich, liegt ein (fehlgeschlagener, vgl. oben) oder beendeter Versuch vor. Danach läge im vorliegenden Fall ein beendeter Versuch vor; ein Rücktritt wäre nicht mehr möglich.

Die vorzugswürdige, von der Rechtsprechung vertretene Gesamtbetrachtungstheorie (Einheitstheorie) stellt dagegen auf die Vorstellung des Täters nach Abschluß der letzten Ausführungshandlung ab (sog. "Rücktrittshorizont"). Hielt der Täter zu diesem Zeitpunkt den Eintritt des Erfolges ohne weiteres eigenes Zutun für möglich, liegt beendeter Versuch vor, andernfalls ist unbeendeter Versuch anzunehmen. (Beides natürlich nur, wenn der Täter erkennt, daß er den Angriff noch wiederholen oder fortsetzen könnte). Dabei kommt es nach neuerer Rechtsprechung nicht darauf an, ob der Töter zu Beginn seines Handelns einen fest umrissenen Tatplan hatte oder nicht. Nach dieser Gesamtbetrachtungstheorie liegt im vorliegenden Fall ein unbeendeter Versuch vor. E und A könnten also durch bloßes Aufhören zurücktreten.

Schließlich ist die Freiwilligkeit zu prüfen. Sie liegt vor, wenn das Motiv autonom (selbstgesetzt) ist. Auf einen ethischen Wert des Motivs kommt es nicht an. Auch Angst, Scham, Reue usw. können die Triebfeder des Rücktrittes sein. Entscheidend ist, ob der Täter noch Herr seiner Entschlüsse ist. Frank gab hier die Formel an: "Ich will nicht, selbst wenn ich könnte". Unfreiwilligkeit liegt dagegen vor, wenn das Motiv heteronom (fremdgesetzt) ist, weil Hinderungsgründe bestehen, die vom Willen des Täters unabhängig sind. Die Frank'sche Formel lautet hier: "Ich kann nicht, selbst wenn ich wollte". Danach ist im vorliegenden Fall die Freiwilligkeit zu verneinen. Durch das Auftauchen der M war eine Risikoerhöhung eingetreten, die ein Weiterhandeln nach den Maßstäben der "Verbrechervernunft" ausschloß.

Erg: Rücktritt (-)

2. 211 I, II Gr. 1 (Habgier), Gr. 2 (Heimtücke); 22; 23 I; 25 II

- Habgier - es reicht, daß E und A mittelbar eine Vermögensmehrung erstreben (Bezahlung durch T) (+)

- Heimtücke

-P: Heimtücke?

An sich liegt eine Auznutzung der Arglosigkeit und der daraus resultierenden Wehrlosigkeit in feindseliger Willensrichtung vor, was nach der Resp ausreicht. In der Lit wird dagegen teilweise ein konkreter Vertrauensbruch gefordert, woran es fehlen würde. Der Rechtsprechung ist zu folgen, also Erg (+)

Erg (+)

Konkurrenz: 211 verdrängt 212 (Gesetzeskonkurrenz, Spezialität)

3. 223 Var. 1, 2; 223 a I Varn.1, 2,3,4

-P: Verhältnis zum Tötungsdelikt

Nach e.M. (Gegensatztheorie) soll der Tötungsvorsatz den Körperverletzungsvorsatz ausschließen. Zu letzteren soll der auf das Weiterleben des Opfers gerichtete Vorsatz gehören. (Genau besehen liegt hier bereits ein Problem des objektiven Tatbestandes vor.) - Vorzugswürdig ist die Gegenmeinung, wonach die Körperverletzung in der Tötung enthalten ist (Einheitstheorie). Da dies generell gesagt werden kann, sind die Körperverletzungsdelikte gegenüber dem vollendeten vorsätzlichen Tötungsdelikt subsidiär. Im vorliegenden liegt aber nur versuchter Mord vor. Um aufzuzeigen, daß vollendete Körperverletzung vorliegt (was beim versuchten Mord nicht zwangsläufig so ist), ist Idealkonkurrenz anzunehmen, 52 I Var.1.

II. D

25 ff ->

-P: Mittäterschaft, 25 II oder Anstiftung, 26?

Man kann zur Abgrenzung auf die Erfüllung des Tatbestandes (so die heute überholte objektive Theorie) oder auf die Willensrichtung des Beteiligten (so die subjektive Theorie) abstellen. Die Rechtsprechung wendet heute eine sog. beschränkt-subjektive Theorie an. Sie beurteilt die Frage der Täterschaft auf Grund aller von der Vorstellung der Beteiligten umfaßten Umstände in wertender Betrachtung. Dabei stellt sie vor allem auf das eigene Interesse an Taterfolg, auf den Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens den Willen zur Tatherrschaft ab. Danach ließe sich Täterschaft bejahen.

In der Lehre herrscht heute fast allgemein die in unterschiedlichen Ausprägungen vertretene Lehre von der Tatherrschaft. Sie sucht nach einer Synthese zwischen objektivem und subjektivem Standpunkt. Tatherrschaft bedeutet dabei "das vom Vorsatz umfaßte In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufes" (Maurach). Dieser Lehre ist der Vorzug zu geben. Danach ist Täter, wer die "Zentralgestalt des konkreten Handlungsgeschehens" ist (Roxin). Teilnehmer ist, wer demgegenüber eine Randfigur ist. Der Teilnehmer handelt ohne Tatherrschaft. Bei der Mittäterschaft kommt es auf die funktionellen Tatherrschaft an, bei der die Person die Straftat mit einem oder mehreren anderen "gemeinschaftlich" begeht, 25 II. Sie ist im vorliegenden Fall zu verneinen. D ist also Anstifter.

-P:

Habgier? Die Mordmerkmale der 1. (und 3.) Gruppe sind nach richtiger Auffassung spezielle Schuldmerkmale, so daß 29 gilt; nach a.M. sind sie besondere persönliche Merkmale, so daß 28 gilt. Mord ist weiter nach richtiger Auffassung eine Qualifikation des Totschlags, während die Rechtsprechung ein delictum sui generis bejaht, was zu 28 I führen würde. Das Merkmal Habgier hat D nicht erfüllt, so daß insoweit nur Anstiftung zum Totschlag vorliegt.

Heimtücke? Die Mordmerkmale der 2. Gruppe sind unstreitig normale Tatbestandsmerkmale. D hat die Ausführung der Tat E und A überlassen; bezüglich der Heimtücke ist Vorsatz des D zu verneinen.

Eigene Mordmerkmale bei D? Eifersucht gegen den Ehegatten ist ein sonstiger niedriger Beweggrund, welcher D gemäß 29 zugrechnet wird, so daß Anstiftung zum Mord vorliegt. Die Rechtsprechung könnte dieses Merkmal nicht berücksichtigen und allenfalls damit helfen, daß sie die Strafmilderung gemäß 28 I versagt.

Erg: Nach allen Auffassungen, aber mit unterschiedlichen Begründungen Anstiftung zum Mord.

III. M

1. 25 ff -> 212 I; 22; 23 I (s.oben I 1); 13

-P: Behandlung des Unterlassenden neben dem Tuenenden?

Die Unterlassungsdelikte sind Pflichtdelikte und außerdem Sonderdelikte. Nur der Garant kann Täter sein. Umstritten ist, ob dies auch dann gilt, wenn neben ihm ein Begehungstäter existiert. Manche Autoren sehen den Garanten in einem solchen Fall immer als Täter an. Andere Autoren sehen ihn neben einem Begehungstäter immer als Teilnehmer an. Wieder andere Autoren vertreten eine differenzierende Lösung, je nachdem, ob der Unterlassende Obhutsgarant (dann Täterschaft) oder Sicherungsgarant (dann Teilnahme) ist. Zustimmung verdient die erstgenannte Auffassung. Der Garant ist immer Täter, und zwar unmittelbar (Mit-, Neben-) Täter, sofern nicht der Charakter des Deliktes als eigenhändiges Delikt diesem Ergebnis entgegensteht. Dies ergibt sich sowohl aus dem Pflicht- als auch aus dem Sonderdeliktscharakter der Unterlassungsdelikte. Bei den unechten Unterlassungsdelikten macht es keinen Unterschied, ob der Garant unmittelbar für ein bestimmtes Rechtsgut obhutspflichtig ist, oder ob er als Sicherungsgarant nur mittelbar die Schädigung irgendwelcher fremder Rechtsgüter verhindern muß. Also ist M Täterin.

a) Tb

aa) subj

-P: Tatentschluß bezüglich Todeserfolg (=Vorsatz) ?

Im Hinblick auf das Wollenselement des Vorsatzes sind bei den Unterlassungsdelikten Besonderheiten zu beachten. Bei den Begehungsdelikten wird hierüber regelmäßig eine klare Aussage möglich sein. Bei den Unterlassungsdelikten wird es dagegen häufig so liegen, daß der Täter "den Dingen ihren Lauf läßt", ohne daß von einem Wollen im eigentlichen Sinn die Rede sein kann. Eine Absicht scheidet hier meistens aus. Für dolus directus und dolus eventualis ist entscheidend auf den Wissensfaktor abzustellen. Hier entwickelt sich die Situation so allmählich, daß von einem Wollen - vergleichbar dem Wollen eines Begehungsdelikts - keine Rede sein kann. Für den Vorsatz genügt es, daß die M um die tatbestandsmäßige Situation und um ihre Handlungsfähigkeit weiß. Erg also (+)

-P: Vorsatz bezüglich der allgemeinen Voraussetzungen des unechten Unterlassungsdeliktes und der Garantenstellung?

Bezüglich der allgemeinen Voraussetzungen (Quasikausalität, Erforderlichkeit, Möglichkeit, Zumutbarkeit) ist der Vorsatz glatt zu bejahen. Weiter muß sich der Vorsatz auf die Tatbestandsmerkmale beziehen, aus denen eine Pflicht zum Handeln folgt. M ist als Ehefrau Lebensgarantin (Obhutspflicht aus natürlicher Verbundenheit). - Die Entsprechungsklausel des 13 ist bei reinen Erfolgsdelikten ohne Bedeutung. Erg also (+)

bb) obj

-P: Unmittelbares Ansetzen ?

Es entsteht das Problem, wann beim "Nichts" der Unterlassung das "unmittelbare Ansetzen zur Tat" i.S.d. 22 vorliegt. Bei den Begehungsdelikten ergibt sich das unmittelbare Ansetzen zur Tat aus einem Tun. Bei den Unterlassungsdelikten fehlt dieser einfach und sicher zu handhabende Indikator. Die Suche nach einem Ersatz hat zu verschiedenen Auffassungen geführt.

Eine Meinung sagt: Sobald der Unterlassende die erste Möglichkeit zum Tun hat verstreichen lassen, hat er zur Tat unmittelbar angesetzt. Eine andere Meinung sagt: Sobald der Unterlassende die letzte Möglichkeit zum Tun hat verstreichen lassen, hat er zur Tat unmittelbar angesetzt. Beide Formeln sind zwar einfach, aber zu schematisch. Sie stellen nur auf die Möglichkeit des Tuns ab, berücksichtigen aber nicht, daß dieses auch erforderlich sein muß. Erforderlich ist es dann, wenn nach der subjektiven Vorstellung des Unterlassenden eine Verzögerung der Handlung die Gefahr für das Rechtsgut vergrößern würde. Ab diesem Zeitpunkt liegt ein unmittelbares Ansetzen vor. Danach ist im vorliegenden Fall das unmittelbare Ansetzen zu bejahen. Erg also (+)

b) Rw (+)

c) Schuld

- 24 II S. 1 Rücktritt einschl. Freiwilligkeit glatt (+)

- Erg (-)

2. 25 ff; - > 223; 223a (oben I 3); 13

- glatt (+) - qualifizierter Versuch